Gesetzliche Erbfolge und Pflichtteilsrecht
I. Gesetzliche Erbfolge
Hat der Verstorbene (Erblasser) kein Testament, bzw. keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen, tritt bei seinem Tod die gesetzliche Erbfolge des Bürgerlichen Gesetzbuches ein. Sein Vermögen geht als Ganzes auf eine oder mehrere Personen über (Gesamtrechtsnachfolge gem. §§ 1922 ff BGB). Existiert ein Testament, gehen die dort enthaltenen Erbregelungen den gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich vor.
Auch wenn ein Testament oder Erbvertrag vorhanden ist, kann die Frage nach der gesetzlichen Erbfolge von Bedeutung sein. Ist nämlich ein Pflichtteilsberechtigter (Abkömmling, Eltern oder Ehegatte) durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen worden, errechnet sich sein Pflichtteilsanspruch auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils (§§ 2303 ff BGB).
Gesetzliche Erben können durch notariellen Vertrag zu Lebzeiten des Erblassers auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten (Erbverzicht).
1. Verwandtenerbrecht nach Ordnungen
Das Gesetz teilt den Grad der Verwandtschaft der möglichen Erben in sogenannte Ordnungen ein. Die vorhergehende Ordnung schließt dabei die nachfolgende Ordnung aus, d.h. sind Erben der vorhergehenden Ordnung noch am Leben, schließen diese alle möglichen Erben einer nachfolgenden Ordnung aus (Parentelsystem).
Erben erster Ordnung gem. § 1924 BGB sind die Abkömmlinge des Erblassers, d.h. dessen Kinder, Enkelkinder, etc.. Dazu gehören grundsätzlich auch nichteheliche und adoptierte Kinder.
Erst wenn niemand aus der ersten Ordnung den Erblasser vorhanden ist, kommen die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (= Geschwister des Erblassers, Nichten, Neffen und deren Kinder, usw.) als Erben der zweiten Ordnung gem. § 1925 BGB in Frage. Grundsätzlich schließen die mit dem Erblasser näher verwandten Personen die nachfolgenden aus.
Hinterlässt der Erblasser weder eigene Kinder (oder deren Nachkommen) und sind auch seine Eltern (mitsamt deren Nachkommen) bereits verstorben, so sind die sogenannten Erben der dritten Ordnung gem. § 1926 BGB an der Reihe: die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also Onkeln und Tanten des Erblassers und deren Abkömmlinge.
Erben der vierten Ordnung gem. § 1928 BGB sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, Erben der fünften Ordnung und fernerer Ordnungen die Vorväter des Erblassers.
Der Ehegatte ist in der Einteilung der Ordnungen nicht enthalten, weil er kein Verwandter des Erblassers ist.
2. Gesetzliches Erbrecht des Ehegatten
Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten kommt nur dann zum Tragen, wenn der Erblasser kein Testament hinterlassen hat, mit dem er die Erbfolge nach seinem Tod geregelt hat. Das Erbrecht des Ehegatten steht neben dem gesetzlichen Erbrecht der Verwandten.
Die Höhe des gesetzlichen Erbteils des Ehepartners bestimmt sich dabei nach der Ordnung der Miterben sowie dem Güterstand in dem die Eheleute gelebt haben; § 1931 BGB.
Erster Schritt: Ermittlung der anwendbaren Ordnung
Neben den Erben der ersten Ordnung (z.B. neben den gemeinsamen Kindern des Erblassers und seines Ehegatten) erbt der Ehegatte vorbehaltlich des Güterstandes grundsätzlich ein Viertel, die Erben erster Ordnung drei Viertel.
Neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern ist der Ehepartner zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen.
Sind weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft.
Daneben hat der Ehegatte ferner einen Anspruch auf den sog. Voraus gem. § 1932 BGB. Darunter versteht man, dass unabhängig vom Güterstand der Ehegatte vorweg die Haushaltsgegenstände und die Hochzeitsgeschenke erhält.
Zweiter Schritt: Erhöhung des Erbteils des Ehegatten aufgrund des Güterstandes
Der Güterstand, in dem die Eheleute zum Todeszeitpunkt gelebt haben, beeinflusst die Höhe des auf den überlebenden Ehegatten entfallenden Erbanteils. Hier ist zwischen dem sogenannten gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft dem Güterstand der Gütertrennung sowie der dem Güterstand der Gütergemeinschaft zu unterscheiden.
- Zugewinngemeinschaft
Lebten der Erblasser und dessen Ehegatte im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (= gesetzlicher Güterstand, der eintritt, wenn kein Ehevertrag geschlossen wurde), erhöht sich der Erbteil des Ehegatten gem. § 1371 BGB um ein weiteres Viertel, d.h. es erbt der Ehegatte neben Verwandten der 1. Ordnung zur Hälfte (¼ + ¼), neben Verwandten der 2. Ordnung oder Großeltern zu ¾ (§ 1931 BGB). Die Erhöhung des Erbteils um ¼ soll Ausgleich des erwirtschafteten Zugewinns sein.
Der Ehegatte hat jedoch die Möglichkeit, seinen Erbteil auszuschlagen. In diesem Fall kann er den tatsächlichen Zugewinn geltend machen. Daneben kann er ferner den nicht erhöhten Pflichtteil (1/8) verlangen.
Diese Vorgehensweise wird sich immer dann rechnen, wenn das Vermögen des Erblassers im wesentlichen während des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft erworben wurde und der überlebende Ehegatte selber während der Ehe keine oder jedenfalls geringe Einkünfte erzielt hat.
- Gütertrennung
Lebten der Erblasser und sein Ehegatte im Güterstand der Gütertrennung (Ehevertrag erforderlich), so gibt es keinen ausgleichspflichtigen Zugewinn.
Eine Besonderheit besteht jedoch dann, wenn neben dem Ehegatten ein oder zwei Kinder vorhanden sind, hierbei erben der Ehegatte und die Kinder jeweils zu gleichen Teilen (bei einem Kind also jeder die Hälfte, bei zwei Kindern jeder ein Drittel), sodass sich auch insofern das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten erhöht.
Scheidung
Der geschiedene Ehegatte hat gem. § 1933 BGB weder Anspruch auf das Erbe noch den Voraus (dies gilt unter bestimmten Voraussetzungen auch, wenn Scheidungsverfahren anhängig, das infolge Todes nicht mehr rechtskräftig abgeschlossen werden konnte).
II. Pflichtteilsrecht
Das gesetzliche Pflichtteilsrecht ist in §§ 2303 ff BGB geregelt. Ein vorhandenes Testament überlagert die gesetzliche Vorschriften. Eigentlich erbt nur, wer im Testament genannt ist – dies wird der Verfügungsfreiheit des Erblassers zugeschrieben. Durch Nichtnennung kann daher auch ein naher Angehöriger enterbt werden. Für einen eng begrenzten Personenkreis sichert der Gesetzgeber aber den sogenannten Pflichtteil: Die Pflichtteilsberechtigten können grundsätzlich nicht übergangen werden.
Pflichtteilsberechtigte können durch notariellen Vertrag zu Lebzeiten des Erblassers auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht verzichten (Pflichtteilsverzicht).
1. Ordentlicher Pflichtteil
Die Pflichtteilsberechtigten haben gegen den testamentarisch eingesetzten Erben einen Anspruch auf Geldzahlung in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteiles gem. §§ 2303 ff BGB. Die Größenordnung der Erbquote ist daher maßgeblich für die Höhe des Pflichtteilsanspruchs. Pflichtteilsberechtigt sind Abkömmlinge, Eltern und der Ehegatte des Erblassers.
2. Zusatzpflichtteil und Ausschlagungsrecht
Auch wenn der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten in seinem Testament bedenkt, ihn aber zu weniger als der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils einsetzt, besteht Anspruch auf einen Zusatzpflichtteil gem. § 2305 BGB. Ist der Pflichtteilsberechtigte jedoch durch das Testament zudem beschwert oder beschränkt (durch Vermächtnisse, Vor- und Nacherbschaft, Testamentsvollstreckung), so kann und sollte er unter Umständen die beschwerte/beschränkte Erbschaft binnen 6 Wochen ab Kenntnis der Beschwerungen/Beschränkungen wirksam gegenüber dem Nachlassgericht ausschlagen, um seinen vollständigen Pflichtteil fordern zu können; § 2306 BGB. Dabei ist dringend eine zeitnahe anwaltliche Beratung zu empfehlen, da eine ungeprüfte Ausschlagung auch zum vollständigen Verlust des Pflichtteilsrechts führen kann, wenn die für den Laien schwer zu überblickenden Voraussetzungen des § 2306 BGB nicht gegeben sind.
3. Pflichtteilsergänzungsansprüche
Auch durch Verschenken des Vermögens zu Lebzeiten ist ein vollständiger Ausschluss des Pflichtteils nicht möglich, da sich der Pflichtteil grundsätzlich gem. § 2325 ff BGB erhöht, wenn der Erblasser einer anderen Person eine Schenkung gemacht hat (= Pflichtteilsergänzungsansprüche).
Die Pflichtteilsergänzung gilt für Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers. Allerdings schmilzt der Wert der ansetzbaren Schenkung um jedes seit Schenkung vergangene Jahr um 1/10 ab. Die Pflichtteilsansprüche lassen sich dadurch jedoch reduzieren.
Wichtig: Bei Schenkungen an den Ehepartner gilt die 10-Jahres-Frist nicht. Ebenso gilt die 10-jahres-Frist nicht bei Schenkungen unter umfassendem Vorbehalt von Nießbrauch oder Wohnungsrecht.
4. Anrechnung von Schenkungen
Allerdings sind unter Umständen Zuwendungen anzurechnen, die der Pflichtteilsberechtigte selbst vom Erblasser erhalten hat (Eigengeschenke), insbesondere wenn der Erblasser dies bei der Zuwendung so bestimmt hat (vgl. §§ 2315, 2327 BGB).
5. Pflichtteilsentziehung kraft Testament
Eine vollständige Pflichtteilsentziehung ist nur in bestimmten, strengen Ausnahmen möglich, die in § 2333 BGB geregelt sind.
Der Erblasser kann den Pflichtteil durch ausdrückliche Anordnung im Testament entziehen, wenn der Pflichtteilsberechtigte
- dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet,
- sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der zuvor bezeichneten Personen schuldig macht,
- die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder
- wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.